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Oskar Sala fasziniert Kuratorin Silke Berdux schon seit Jahrzehnten. „Sala war einer der großen Pioniere der elektronischen Musik. Und er war ein Freak“, sagt die Kuratorin für Musikinstrumente am Deutschen Museum. Sie hat sich lange mit Oskar Sala beschäftigt. Jetzt können drei neue Bücher über den Musiker, Komponist und Instrumentenbauer im Deutschen Museum präsentiert werden. Ein nie gesehenes Manuskript von Sala selbst, eine wegweisende Studie über die Technik „seines“ Instruments, des Trautoniums. Und schließlich ein Findbuch, mit dem sich der riesige Nachlass Salas im Deutschen Museum erschließt.  

Wer jetzt sagt: „Oskar Sala und sein Trautonium – nie gehört“, hat vermutlich unrecht. Jeder, der schon einmal Alfred Hitchcocks Film „Die Vögel“ angeschaut hat, hat auch schon mal etwas von Oskar Sala gehört. Die unheimlichen Vogelschreie in dem Film sind nämlich auf dem Trautonium produziert – dem Instrument, dem Sala sein ganzes Leben widmete. Er entwickelte das von Friedrich Trautwein im Jahr 1930 vorgestellte Trautonium systematisch weiter und war bis zu seinem Tod im Jahr 2002 der einzige, der das Instrument spielen konnte.

Vergessen ist Sala auch 21 Jahre nach seinem Tod nicht. Schon gar nicht im Deutschen Museum. In der Musikinstrumenten-Ausstellung des Museums sind Teile seines Tonstudios in einer originalgetreuen Installation zu bewundern. Das Deutsche Museum besitzt mehrere Trautonien – darunter das einzige erhaltene Exemplar des sogenannten „RVS-Trautoniums“ (RVS steht für Rundfunkversuchsstelle), das auf Betreiben von Museumsgründer Oskar von Miller schon 1932 ins Museum kam. Dazu kommt der umfangreiche Nachlass von Sala, den er dem Deutschen Museum 2002 vermachte und der 83 Regalmeter im Archiv des Deutschen Museums füllt. Mit beinahe 2000 Bändern, die inzwischen vom Museum mithilfe der Kulturstiftungen des Bundes und der Länder digitalisiert wurden, aber auch seinen Manuskripten, Notizen und seiner Korrespondenz, einer riesigen Zeitungsausschnittsammlung, seinen Reisetagebüchern oder seinen Steuerunterlagen.

„Es ist eine einmalige Sammlung“, schwärmt Kuratorin Silke Berdux. Und um diese einmalige Sammlung jetzt auch angemessen erschließen und begleiten zu können, gibt es am Deutschen Museum gleich drei neue Bücher. Das erste ist das von Peter Donhauser verfasste „Oskar Sala als Instrumentenbauer – ein Leben für das Trautonium“. Donhauser, der lange am Technischen Museum Wien tätig war, beschreibt zum ersten Mal die für das Trautonium wichtige Zeit zwischen 1933 und 1936, erklärt präzise die Evolution des Trautoniums von den Anfängen an und gibt viele Einblicke in Salas akribische Arbeit. Donhauser: „Das Trautonium wurde zu Salas Lebensaufgabe, indem er es laufend verbesserte, veränderte, ausbaute und zu einem „Konzertinstrument“ entwickelte.“ Donhauser nutzt dazu viele bisher unbekannte Quellen, besonders aus dem Nachlass von Oskar Sala im Deutschen Museum. Silke Berdux: „Das ist das einzige grundlegende Werk über die Technik des Trautoniums. Und es wird vermutlich auch das einzige bleiben. Das kann nämlich niemand außer Peter Donhauser.“

Das zweite Buch ist nicht nur ein Leckerbissen für Sala-Fans, sondern auch für jeden Bibliophilen. Es ist die Reproduktion eines von Sala handgeschriebenen Hefts. Oskar Sala verfasste den „Bericht über das neue Trautonium – seine Entstehung und seine Spieltechnik“ im Frühjahr 1936. Detailliert und mit zahlreichen Fotografien und Plänen beschreibt er in ihm die Frühzeit des Trautoniums: die Entwicklung vom experimentellen, einstimmigen Instrument der Rundfunkversuchsstelle mit nur wenigen Klangfarben aus dem Jahr 1930 bis zu einem mehrstimmigen Instrument mit vielen Klangfarben, das er im Jahr 1936 fertiggestellt hatte.

Silke Berdux und Peter Donhauser legen dieses einzigartige, bisher unbekannte Dokument aus dem Nachlass Oskar Salas im Deutschen Museum vor. In einem Nachwort stellen sie Zusammenhänge und Hintergründe des Berichts dar, der das einzige umfangreiche, eigenhändige Zeugnis eines Pioniers der elektronischen Musik ist.

„Ich habe das Originalheft von Sala schon bei der ersten Sichtung des Nachlasses in der Hand gehabt“, erzählt Berdux. „Und ich dachte mir damals schon: Das ist ein sensationelles Zeugnis. Da müsste man was draus machen. Als dann das Buch von Peter Donhauser entstand, erinnerte ich mich wieder an die Originalhandschrift. Und jetzt ist es endlich soweit.“

In seiner feinsäuberlichen Handschrift hat Sala 42 Seiten gefüllt, ohne sich kaum je zu verschreiben, hat Abbildungen, Fotos und Notenblätter hinzugefügt. Man kann hier dem Instrumentenbauer und Musiker buchstäblich beim Arbeiten zusehen, eine Umschrift macht Salas Werk für jedermann lesbar. Sala erläutert die Philosophie seines Instruments, äußert sich ausführlich zu den Spieltechniken. Und schließlich erlaubt das Buch auch Einblicke in Salas Selbstbild. Besonders hervorgehoben hat Sala den Satz: „Ich behaupte, daß das Trautonium mit seiner jetzigen Form der Spiel- und Ausdruckstechnik das verbreitetste solistische Instrument wird, wenn es gelingt, die technische Spieltechnik auf das Niveau der Violine herabzudrücken.“ Was nicht nur von einem gesunden Selbstbewusstsein, sondern auch von seinen übergroßen Hoffnungen auf die Wettbewerbsfähigkeit seines Instruments zeugt.

Und auch ein drittes, wichtiges Dokument über Oskar Sala wird jetzt vom Deutschen Museum zugänglich gemacht: Im Findbuch zum Nachlass von Oskar Sala wird der gesamte Nachlass des Musikers im Archiv des Museums erschlossen – eine wahre Fundgrube. Die 7350 Verzeichnungseinheiten umfassen im Ausdruck und im PDF, das zum Download frei verfügbar ist, immerhin knapp 1500 Seiten an Informationen. Damit sich auch die Sala-Forscher der nächsten Generation das Leben und Wirken des großen Elektronikmusik-Pioniers erschließen können.

Die Bücher

Studies 11
Peter Donhauser: Oskar Sala als Instrumentenbauer
Ein Leben für das Trautonium

145 Seiten, Deutsches Museum Verlag, 2022
ISSN 2365-9149
ISBN 978-3-948808-09-9
URN nbn:de:bvb:210-dm-studies11-3

Oskar Sala: Bericht über das neue Trautonium. Berlin 1936
Reproduktion, Umschrift und Nachwort, hrsg. von Silke Berdux und Peter Donhauser
190 Seiten, zwei Bände im Schuber, Deutsches Museum Verlag, 2023
ISBN 978-3-948808-06-8
Buchhandelspreis 34,90 €

Findbuch zum Nachlass von Oskar Sala im Archiv des Deutschen Museums (NL 218)
1495 Seiten, Deutsches Museum, Archiv, 2021
PDF zum Download unter: https://www.deutsches-museum.de/forschung/archiv/aktuelles

Bild 1/5

Oskar Sala 1995 vor dem Poster seines Mixturtrautoniums im Fotoatelier des Deutschen Museums.

Frei zur Veröffentlichung nur mit dem Vermerk

Foto: Deutsches Museum/Hans-Joachim Becker

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Bild 2/5

Oskar Sala am Mixturtrautonium.

Frei zur Veröffentlichung nur mit dem Vermerk

Foto: Deutsches Museum

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Bild 3/5

Das Sala-Studio in der Musikinstrumenten-Ausstellung.

Frei zur Veröffentlichung nur mit dem Vermerk

Foto: Deutsches Museum

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Bild 4/5

Oskar Sala erklärt Alfred Hitchcock das Mixturtrautonium. Das Bild stammt aus der Frankfurter Rundschau vom 13. September 1997. Es ist während Hitchcocks Aufenthalt in Berlin im Dezember 1962 entstanden und wurde vielfach nachgedruckt.

Frei zur Veröffentlichung nur mit dem Vermerk

Reproduktion nach DM Archiv, NL 218/2493 GF (Nachlass Oskar Sala)

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Bild 5/5

"Oskar Sala: Bericht über das neue Trautonium. Berlin 1936": Die Reproduktion des handgeschriebenen Heftes wurde in zwei Bänden mit einem Schuber veröffentlicht.

Frei zur Veröffentlichung nur mit dem Vermerk

Foto: Deutsches Museum

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Oskar Sala: Sein Leben und Werk

Geboren wurde Oskar Sala am 18. Juli 1910 in Greiz/Thüringen. Er stammte aus einer kunstaffinen Familie. Mutter Annemarie (1887 – 1959) trat als Sängerin auf, Vater Paul (1874 – 1932) war Augenarzt und förderte die musikalische Begabung seines Sohnes. Bereits als Jugendlicher schrieb Oskar Sala eigene Kompositionen, mit 14 Jahren etwa Sonaten und Lieder für Violine und Klavier. 1926 stellte er bei einem Konzert in seiner Heimatstadt erstmals eigene Werke vor.

Nach dem Abitur 1929 ging Sala nach Berlin, um in der Meisterklasse von Paul Hindemith (1895 – 1963) Komposition zu studieren. Hindemith hatte großes Interesse am Bau von Instrumenten, die sich für das damals neue Medium Rundfunk eigneten. In der in der Hochschule seit Mai 1928 angesiedelten Rundfunkversuchsstelle kam Sala in Kontakt mit dem Ingenieur Friedrich Trautwein (1888 – 1956), der mit dem Trautonium gerade eines der frühesten elektronischen Musikinstrumente entwickelt hatte. Bei der öffentlichen Präsentation des Trautoniums am 30. Juni 1930 im Rahmen des Festivals „Neue Musik Berlin“ spielte Sala mit Hindemith und Rudolph Schmidt (1909 – 2007) Hindemiths „Kleine Stücke für drei Trautonien. Des kleinen Elektromusikers Lieblinge“.

Das Trautonium kann klingen wie eine Geige, wie eine Oboe oder wie eine Sirene. Es kann aber auch Vokale erzeugen. Es hat keine Tastatur, sondern eine Metallschiene, über die eine mit Widerstandsdraht umwickelte Saite gespannt wird. Wird die Saite auf die Metallschiene gedrückt, wird ein Stromkreis geschlossen und mit Hilfe von Röhren, die sich im Instrument befinden, ein obertonreicher Klang erzeugt, aus dem über Drehschalter gesteuerte Filter verschiedene Klänge herausdestillieren können. Mit einem Pedal lässt sich die Lautstärke steuern. Das Instrument hat keine festen Tonstufen und erzeugt zahlreiche unterschiedliche Klangfarben.

Das Trautonium der Rundfunkversuchsstelle im Deutschen Museum ist das älteste und einzige erhaltene der dort gebauten Trautonium. Das neue Instrument beeindruckte Arnold Schönberg (1874 – 1951) ebenso wie Hindemith, und Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels ließ sich das Trautonium vorführen, weil er sich davon eine musikalische Begleitung für Propaganda-Feiern versprach. 

Später spezialisierte sich Sala auf die Weiterentwicklung des Trautoniums. Zur Erweiterung seiner mathematisch-naturwissenschaftlichen Kenntnisse studierte er Physik an der Universität Berlin.

Die Firma Telefunken erhoffte sich von dem neuen Instrument einen Markterfolg und entwickelte unter Mithilfe Salas das später „Volkstrautonium“ genannte Hausmusikinstrument, das auf der Berliner Funkausstellung 1933 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Unter der Bezeichnung „Trautonien für Hausmusik“ baute Telefunken rund 200 Stück. Aufgrund des für damalige Verhältnisse stolzen Preises war es aber kein Markterfolg und wurde nicht weiterproduziert. Heute gibt es in der Sammlung des Deutschen Museums noch drei Exemplare – eins davon in der Musikausstellung.

1934/35 baute Sala im Auftrag der Reichsrundfunkgesellschaft dann das Rundfunktrautonium, das erste Trautonium, das ganz ohne Mithilfe des Erfinders Friedrich Trautwein entstand. Es hatte zwei Manuale und zwei Pedale. Eine seitliche Bewegung der Pedale ermöglichte zudem das Umstimmen der Manuale während des Spiels. Auf dem Instrument, das im Berliner Funkhaus in der Masurenallee stand, gestaltete Sala eine eigene Radiosendung mit dem Titel: „Musik auf dem Trautonium“.

Für weitere öffentliche Auftritte entwickelte Oskar Sala ein weiteres transportables Instrument, das Konzerttrautonium, das wie das Rundfunktrautonium über zwei Manuale und zwei Pedale verfügte, über eine etwas kompaktere Form und nach Angaben von Sala auch über „etwas kühnere subharmonische Zusätze“. Erstmals erklang das Instrument im April 1939 im Rundfunk, zur Aufführung kam das „Konzert für Trautonium und Orchester“ des Komponisten Harald Genzmer.

Daran schlossen sich selbst in den Kriegsjahren zahlreiche gemeinsame Auftritte von Sala und Harald Genzmer am Flügel bei Konzerten in ganz Europa an, wie im April 1942 im Mozartsaal in Wien.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Oskar Sala das Mixturtrautonium. Wie das Konzerttrautonium besaß es zwei Manuale und Pedale, die klanglichen und spieltechnischen Möglichkeiten wurden aber noch einmal deutlich erweitert. Öffentlich vorgestellt wurde das Mixturtrautonium Ende 1952 mit der Uraufführung des „Konzerts für Mixturtrautonium und großes Orchester“ von Harald Genzmer im Südwestfunk Baden-Baden.

Ab 1958 trat Sala kaum noch öffentlich bei Konzerten auf, stattdessen arbeitete er meist in seinem Berliner Tonstudio, das das Deutsche Museum nach seinem Tod fast vollständig übernehmen konnte. Sala ergänzte das Mixturtrautonium um ein elektronisches Schlagwerk für Perkussionsschaltungen und modifizierte es dann um weitere Komponenten wie etwa Rauschgeneratoren oder ein elektrisches Metronom. Die Optimierung der Tonbandtechnik eröffnete dazu ganz neue Möglichkeiten wie etwa die Simulation eines vollständigen elektronischen Orchesters.

Sala komponierte auf dem Mixturtrautonium Klänge für zahlreiche Film- und Fernseh-Dokumentationen. Sein berühmtester Film aber wurde „Die Vögel“ von Alfred Hitchcock. Hitchcock, der ganz bewusst auf klassische Filmmusik verzichten wollte, flog sogar nach Berlin in Salas Tonstudio und zeigte sich beeindruckt von den Trautonium-Tönen, die letztlich sämtliche Klangeffekte dieses Films erzeugten. Aber Sala lieferte auch Filmmusik für die Wallace-Filme „Der Fluch der gelben Schlange“ oder „Der Würger von Schloß Blackmoor“.

Sala, der privat mit seiner Frau Käte viel in der Welt unterwegs war, gerne nach Italien und Griechenland reiste, nach Ägypten und in die USA, trat nach 1988 wieder verstärkt in der Öffentlichkeit auf und schuf neue Werke und Klänge für den Film. Er war bei Festivals und Gesprächsrunden in ganz Europa zu Gast, war in Gesprächskonzerten und im Theater zu hören, empfing zahlreiche Künstler und gab unzählige Interviews. Er wurde in Rundfunksendungen und Filmen gewürdigt und mehrfach ausgezeichnet. In den Achtziger- und Neunzigerjahren erlebte Sala eine wahre Renaissance, erzählt Musik-Kuratorin Silke Berdux. „Alle sind zu ihm gepilgert – und auch die Musiker der legendären Band Kraftwerk haben sich auf ihn berufen.“ 

1995 stellte Oskar Sala dem Deutschen Museum Bonn sein Mixturtrautonium als Dauerleihgabe zur Verfügung. 2000 übergab er seinen Nachlass dem Deutschen Museum. Bis zu seinem Tod blieb er der einzige Spieler des Trautoniums. Oskar Sala starb am 26. Februar 2002 in Berlin.

Weitere Informationen zu Oskar Sala: www.oskar-sala.de