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Wenn man sein Arbeitszimmer betritt, merkt man gleich, dass hier ein Luftfahrtbegeisterter arbeitet. Im Regal hinter ihm stehen bestimmt ein Dutzend Flugzeugmodelle – von einem kleinen Flyer der Gebrüder Wright bis hin zu einfachen Holzmodellen von Hubschraubern, die einst für die Konzeption von Ausstellungen im Deutschen Museum gedient haben. Gerhard Filchner war schon beim Aufbau der großen Luftfahrtausstellung des Deutschen Museums auf der Museumsinsel dabei, und hat dann rund 30 Jahre die Flugwerft Schleißheim geleitet. Am 30. November hat der 65-Jährige seinen letzten Arbeitstag. Und er hat viel zu erzählen.

„Ich habe mein ganzes Berufsleben im Deutschen Museum verbracht“, sagt Filchner. Sein erster Arbeitstag war der 1. Oktober 1981. „Ich kam direkt von der Fachhochschule in München.“ Warum das Deutsche Museum sein erster – und sein letzter – Arbeitsplatz war? „Ich habe Initiativbewerbungen auch an die einschlägigen Flugzeugfirmen geschickt – aber am schnellsten geantwortet hat das Deutsche Museum.“ Ein Glück für beide Beteiligte.  

Für Filchner war die Bewerbung nur schlüssig: Er ist luftfahrtbegeistert seit seiner Kindheit. „Mich hat die Luftfahrtgeschichte immer schon fasziniert. Ich habe schon als Bub Flugzeugmodelle gebaut.“ Sein Jugendtraum war’s zwar nicht, ein Museum zu betreiben. Aber immerhin hat er so sein ganzes Leben lang mit Flugzeugen zu tun gehabt. „Ich kann mich noch an einen Zeitschriftenartikel erinnern, den ich in meiner Jugend gelesen habe: Das Hobby zum Beruf machen. Und das habe ich auch geschafft.“

Filchner stammt aus der Oberpfalz. Wäre er dortgeblieben, wäre sein Berufsleben ganz anders verlaufen. „Da gab’s beim Arbeitsplatz die Wahl zwischen Zoll und Finanzamt.“ Sein Leben stattdessen der Luftfahrt zu widmen, hat er nie bereut: „Erstens ist das ungeheuer faszinierend, und zweitens werde ich auch noch dafür bezahlt, dass ich das tue, was mir Spaß macht.“

Zum ersten Mal so richtig mit dem Deutschen Museum in Kontakt gekommen ist er während seines Studiums. Er sollte in einer Studienarbeit ein Querruder nach dem Vorbild des „Starfighters“ entwickeln. „Und wenn man sich ein bisschen auskennt, denkt man sich: Da steht doch ein Starfighter im Deutschen Museum – Internet gab’s ja noch nicht.“ Er und seine Kommilitonen haben den Kampfjet ganz genau unter die Lupe genommen – und die daraus resultierende Studienarbeit wurde prompt ein Erfolg. Ein guter Anfang.

Nach dem Studium bewarb sich Filchner dann folgerichtig beim Deutschen Museum. Das suchte damals Verstärkung für die große Luftfahrtausstellung, die 1984 eröffnet wurde. „Es war ein kleines Team – und wir mussten eine sehr große Halle mit Leben und mit Exponaten füllen“. Filchner organisierte den Transport, die Montage und die Restaurierung der Flugzeuge.

Die Ausstellung wurde 1984 eröffnet – entwickelt in einer Rekordzeit von nur vier Jahren. Filchner erzählt: „Das war eine andere Zeit damals, und wir haben fast alles hausintern gemacht.“ Stolz ist er heute noch darauf: „Das war gigantisch, was da an neuen Exponaten auf einen Schlag der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte. Es gab kein vergleichbares Luftfahrtmuseum.“ Die Eröffnung war großes Kino. Helmut Kohl und Franz Josef Strauß waren da – und für den 28-jährigen Filchner zeichnete sich da schon der nächste Arbeitsauftrag ab: Noch bei der Eröffnung der Luftfahrthalle kam die Zusage, dass der Staat die Flugwerft Schleißheim finanzieren würde.

„Kaum waren wir mit der Luftfahrtausstellung auf der Museumsinsel noch nicht fertig, begannen die Planungen für die Flugwerft.“ Der Flugplatz war 1981 aufgelöst worden. „Als ich zum ersten Mal nach Schleißheim gekommen bin, war das Gelände der heutigen Flugwerft noch militärisches Sperrgebiet.“  Nicht nur ein Verein machte sich sehr für den Erhalt der historischen Flugwerft stark - auch Franz Josef Strauß, Ministerpräsident und passionierter Flieger. Das Deutsche Museum übernahm das Projekt, aus der historischen Flugwerft ein Museum zu machen. „Für die Museumsinsel hatten wir viel gesammelt, aber nicht alle Exponate in der Luftfahrtausstellung untergebracht“, sagt Filchner. Der Senkrechtstarter Do 31 zum Beispiel war zu groß für die Ausstellung und stand vor dem Museumseingang im Freien. „Einmal jährlich mussten wir das Flugzeug reinigen und konservieren, und die Dellen des Hagelsturms von München 1984 hat das Flugzeug heute noch“, erzählt Filchner. Da lag es nahe, in Schleißheim eine Ergänzung zur Museumsinsel aufzubauen – auch zum Schutz der Exponate. „Wir wollten natürlich auch Platz haben, um auch die Zukunft der Luftfahrt zu dokumentieren, sagt Filchner. „Die Luftfahrtgeschichte endet ja nicht, bloß weil das Museum voll ist.“ Der damalige Generaldirektor Otto Mayr zitierte Filchner zu sich und erklärte: „Ich brauche jemand in Schleißheim, der unser Haus dort vertreten kann.“ Filchner sagte begeistert zu, obwohl er am Anfang buchstäblich vor Trümmern stand.

„Die historischen Gebäude der Flugwerft waren praktisch Ruinen und sollten auch schon abgerissen werden.“ Mit einem Wiederaufbau war es nicht getan, sagt Filchner: „Wir haben damals gesagt: Die alte Halle ist schön und gut, aber um ein Museum draus zu machen, sind 2000 Quadratmeter einfach zu wenig.“ Deshalb wurde eine neue Ausstellungshalle und die Restaurierungswerkstatt dazugeplant. Filchner: „Das war eine völlig neue Qualität – auch durch den personellen Zuwachs mit sechs Stellen in der Werkstatt. Solche Möglichkeiten hatten wir früher nie!“ Finanziell dagegen hat’s an allen Ecken und Enden gemangelt. Und wie das immer so ist, hat der Bau die Ressourcen aufgefressen. Für das gesamte Projekt – also inklusive Renovierung und Bau der neuen Halle - war ein Volumen von 55 Millionen D-Mark vorgesehen. „Für die Ausstellungen sind am Ende 150.000 Mark übriggeblieben“, sagt Filchner. „Aber wir haben das Beste draus gemacht - und arbeiten seit 30 Jahren daran, dass es immer besser wird.“

Schon die Bestückung des Museums war eine äußerst spannende Phase. Filchner erzählt: „Die Luftwaffe hat uns die Exponate mit Transporthubschraubern eingeflogen – da gibt’s sehr beeindruckende Bilder.“ Und die Eröffnung 1992 wurde ein rauschendes Fest. Die Hallen seien anfangs noch sehr dünn mit Exponaten bestückt gewesen – aber im Lauf der Zeit sind immer mehr Flugzeuge dazugekommen – wie zuletzt das Forschungsflugzeug Do 128 oder die große Transall.

„Mein Ziel war immer schon, ein lebendiges Museum zu schaffen – ein Museum, das in Bewegung ist“, sagt Filchner. In seiner Zeit hat es 50 Sonderausstellungen in der Flugwerft gegeben, viele Kooperationen, Partnerschaften und Vorträge. „Und wir haben viel Wert darauf gelegt, dass hier immer auch ein Flugbetrieb stattfindet – mit Piloten, die mit ihren Oldtimern hier einfliegen. Wie zum Beispiel die Klemm 25 von 1927, das ältesten in Deutschland noch zugelassenen Flugzeug. Das sind einfach Schmankerl, die die Ausstellung bereichern.“

Filchners persönliche Höhepunkte: Der Flugtag 2003 zum 100-jährigen Jubiläum des Deutschen Museums – 30 000 Menschen kamen. Oder der Besuch von Chuck Yaeger. Den ersten Menschen, der die Schallmauer im Horizontalflug durchbrochen hat, hat Filchner persönlich durch die Flugwerft geführt. Oder das Einfliegen des Forschungsflugzeugs Attas – die unter schwierigsten Bedingungen im Winter auf den letzten Drücker eingeflogen wurde, weil ihre Zulassung ablief.

Selbst am Steuerknüppel gesessen hat Filchner übrigens nie: „Einen Pilotenschein habe ich nicht – meine Augen waren nicht besonders, und die Zeit hätte ich auch nicht gehabt.“ Aber mitgeflogen ist er natürlich gern – mit dem Zeppelin, der öfter in der Flugwerft zu Gast ist, ist oder mit dem Junkers-F13-Nachbau, der 2019 in Schleißheim war.

Aber Filchners eigentliche große Liebe ist die Luftfahrtgeschichte. Und er überrascht immer wieder mit Details, die Laien nicht ahnen. „Wenn man sich den Doppeldecker der Gebrüder Wright anschaut – das ist eigentlich eine fliegende Fachwerkbrücke, nur mit Drähten statt Balken. Die Wrights hatten Octave Chanute als Berater - und der war nun mal eigentlich Eisenbahningenieur – deshalb die Brückenkonstruktion, leicht und stabil. Für die damalige Zeit eine geniale Konstruktion.“

Eine ganz besondere Beziehung hat Filchner zu einem Exponat, das nicht in der Flugwerft ausgestellt ist, sondern auf der Museumsinsel: eine Luftschiff-Gondel. „Ich hatte mit der Restaurierung dieser Parseval-Gondel zu tun – und merkte, dass ein paar Teile fehlten. Durch Zufall entdeckte ich dann den Kühler im Depot des Zeppelin-Museums in Friedrichshafen. Dann habe ich ewig mit den Kollegen diskutiert und machte ihnen klar, dass das kein Zeppelin-Teil ist, sondern eins von der Konkurrenz. Das Deutsche Museum hatte nämlich irgendwann in den 1960er-Jahren alles, was irgendwie nach Zeppelin aussah, nach Friedrichshafen geschickt. Ich habe die Kollegen dort so lange genervt, bis sie den Kühler am Ende wieder rausgerückt haben. Nach dem Motto: Jetzt nimm das Teil und gib a Ruh.“

Filchner ist jedenfalls überzeugt, bei seiner Berufswahl alles richtig gemacht zu haben. „Das war immer total vielseitig: Von Restaurierungen und Exponat-Einwerbungen bis hin zu Sonderausstellungen und der Organisation von Veranstaltungen – langweilig ist es nie gewesen. Für mich war das ein absoluter Glücksfall – sonst wäre ich auch nie so lange geblieben. Wäre ich dagegen in der Luftfahrtindustrie gelandet, hätte ich vielleicht am Ende irgendwelche Türscharniere entwickelt – und das wäre auf die Dauer doch etwas fad geworden.“

Ein weiterer Vorteil des Jobs: Im Museum hat er auch seine Frau kennengelernt. Simone Bauer hat ebenfalls eine Führungsposition im Deutschen Museum und folgt Filchner im Februar in den Ruhestand. Wie sie sich näher kennengelernt haben, ist eine Geschichte für sich: Fürs Museum machten sie eine Fortbildung zum Suchtkrankenhelfer – und sind danach noch in einer Weinstube gelandet. Ausgerechnet. Jetzt hält die Ehe schon 20 Jahre.

Und jetzt? Filchner will’s entspannt angehen lassen. Keine große Weltreise, sondern Radfahren – und den Jakobsweg weiterwandern. Das Ehepaar ist schon in den vergangenen drei Jahren in Etappen von München ins französische Le Puy gewandert – und will dann jetzt im Ruhestand die 2500 Kilometer vollmachen, statt täglich ins Museum zu pilgern.

Bild 1/2

Gerhard Filchner ist seit rund 40 Jahren im Deutschen Museum. Der Leiter der Flugwerft geht Ende November in Ruhestand.

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Foto: Deutsches Museum

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Bild 2/2

Gerhard Filchner in der neuen Ausstellungshalle: In den 29 Jahren seit der Eröffnung der Flugwerft Schleißheim sind einige Flugzeuge dazugekommen.

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Foto: Deutsches Museum

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