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Zwei von der Akustik bis zur "Komponiermaschine" weitgespannte Werke zur Musiktheorie

Völlig unvorstellbar wäre es heute, dass ein Wissenschaftler so verschiedene Gebiete bearbeitet, wie Athanasius Kircher dies im 17. Jahrhundert tat. Johannes Kepler soll ihn deshalb als „Doctor Centum Artium“ – Doktor von hundert Wissenschaften – bezeichnet haben.
Die Urform der Laterna magica und eine der ältesten Rechenmaschinen gehen ebenso auf ihn zurück wie kartographische Aufzeichnungen der wichtigsten Meeresströmungen und erste Mondkarten. Zudem führte er mit Hilfe des Mikroskops Blutuntersuchungen durch und vermutete in Mikroorganismen die Ursache der Pest. Im Zuge seiner Beschäftigung mit dem Koptischen unternahm Kircher den – allerdings vergeblichen – Versuch die Hieroglyphen zu entziffern. Der polyglotte Polyhistor, der viele Sprachen und Wissenschaften beherrschende Gelehrte, gilt als typisch für die Barockzeit. Kircher nimmt jedoch mit der Breite seiner Beiträge eine Sonderstellung ein und erlangte Weltberühmtheit. Ein Besuch bei ihm und in seinem völkerkundlich-naturwissenschaftlichen Museum, dem Museum Kircherianum in Rom, gehörte für die Bildungsreisenden seiner Zeit zum Pflichtprogramm. Das Museum, das auch einige Musikautomaten besaß, wurde erst 1915 aufgelöst.

Geboren wurde dieses Genie 1602 in Geisa im thüringischen Teil der Rhön. Anfänglich Professor für Mathematik, Philosophie und orientalische Sprachen in Würzburg, ging Kircher nach einem zweijährigen Aufenthalt in Avignon als Professor für die genannten Fächer ans Collegium Romanum nach Rom, wo er von 1634 bis zu seinem Tod 1680 lebte. Dieser Arbeitsort war für den Jesuiten ideal. Die berühmte Hochschule bildete den Mittelpunkt des weit gespannten Netzes wissenschaftlicher Kontakte des Ordens zu den verschiedensten Gelehrten und Kircher war damit direkt am wissenschaftlichen Puls seiner Zeit. Bei seinen Publikationen konnte er zudem auf die finanzielle Hilfe der Habsburger zählen, die ihn gerne als Hofmathematiker in Wien gesehen hätten.

Sein Interesse für die Musik wurde spätestens bei einem Aufenthalt in der Bibliothek des Klosters San Salvatore auf Malta geweckt. Dort fand er die, heute allerdings als Fälschung erkannte, Melodie zu Pindars erster pythischer Ode. Zwei wichtige, in der Bibliothek des Deutschen Museums vorhandene Werke sollte Kircher in den folgenden Jahrzehnten zur Musiktheorie veröffentlichen: 1650 die „Musurgia Universalis“ und 1673 die „Phonurgia nova“; letztere erschien 1684 als „Neue Hall- und Thon-Kunst“ in deutscher Übersetzung.

Die „Musurgia Universalis“ ist ein universelles Werk über das musikalische Wissen der Zeit, das wesentlich auf die „Harmonie universelle“ von Marin Mersenne (1588–1648) aufbaut. Von der Kirchenmusik ausgehend, behandelte Kircher auf über 1000 Seiten unter anderem Akustik, Musikinstrumente und Musikgeschichte. Verschiedene Abschnitte sind eng mit der Wissenschaftsgeschichte der Zeit verknüpft. So warf Kircher die Frage auf, ob es möglich sei, in einem Vakuum einen Ton zu erzeugen. Dieses Problem wurde in den Folgejahren auch von Boyle, Pascal und Torricelli ausführlich diskutiert. Die von Kircher erdachten Automaten spiegeln seine zum Teil mechanistische Haltung gegenüber der Musik. Am deutlichsten zeigt dies die von ihm erfundene Komponiermaschine, die Arca Musurgica. Mit ihr sollte es auch Laien möglich sein, in kurzer Zeit vollkommene Kompositionen zu schaffen.

Den wegen der zahlreichen Kupferstiche und Notenbeispiele kostspieligen Druck der „Musurgia Universalis“ besorgte der römische Drucker Lodovico Grignani. Die Kosten des barocken Prachtwerks trugen Kaiser Ferdinand III. und sein Bruder Erzherzog Leopold Wilhelm. Die Briefsammlung Kirchers gestattet einen ungewöhnlich genauen Überblick über die Auflage und die frühe Verbreitung des Werks. Die Auflage belief sich auf 1500 Exemplare, wovon allein 250 in Italien verkauft wurden. Die zur Wahl eines neuen Ordensgenerals 1650 nach Rom gereisten Jesuiten erhielten 300 Exemplare der „Musurgia Universalis“ geschenkt. Durch sie hat sich das Werk weltweit verbreitet und so schnell Einfluss auf die Musik der Zeit gewonnen.

Die knapp ein Vierteljahrhundert später erschienene „Phonurgia nova“ ist das erste vorrangig der Akustik gewidmete Buch. Teilweise wiederholt Kircher die aus der „Misurgia Universalis“ bekannten Ausführungen, doch bringt er auch neue Inhalte. Verblüffend ist das Schlusskapitel des Werks, das die therapeutischen Möglichkeiten der Musik bei Gemütskrankheiten behandelt und damit moderne Heilmethoden vorwegnimmt.

Dieser Artikel erschien zuerst gedruckt in "Kultur+Technik", der Zeitschrift des Deutschen Museums, Heft 04/2005.