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Eine frühe Eisenbahnlinie kunstvoll in Szene gesetzt

Die am 15. September 1830 in Betrieb genommene Eisenbahnlinie zwischen Liverpool und Manchester war nach der fünf Jahre zuvor eröffneten Strecke von Stockton nach Darlington der zweite Eisenbahnbau und zugleich die erste zweigleisige Bahnverbindung. Diese diente vorrangig der Versorgung der Textilindustrie Manchesters mit Baumwolle und in umgekehrter Richtung dem Transport der Textilprodukte zum Hafen in Liverpool. Auch spielte von Anfang an ebenso der Personenverkehr eine Rolle. Zur Erinnerung an die Eröffnung der Liverpool-Manchester-Bahn erschienen in den nachfolgenden Jahren eine Reihe von Büchern, die dieses Ereignis in Wort und Bild festhielten.

Einer der Autoren war Thomas Talbot Bury (1809–1877), im Hauptberuf Architekt und als solcher an der Gestaltung des Westminsterpalasts, dem Sitz des britischen Parlaments, beteiligt. Seine eigentliche Begabung war die Anfertigung von Architekturzeichnungen und deren Umarbeitung in Stiche und Lithografien. Auf diese Weise wurde der in London geborene Bury auch als Künstler bekannt, der seine Werke über viele Jahrzehnte in der Royal Academy ausstellte.

Er veröffentlichte 1831, ein Jahr nach der Eröffnung der Liverpool-Manchester-Bahn, mit seinen „Coloured Views on the Liverpool and Manchester Railway – With Plates of the Coaches, Machines, &c“ ein Buch zu diesem, von den Zeitgenossen viel bewunderten Bahnbau. Nach einer kurzen, achtseitigen Beschreibung der Linie folgen dreizehn Illustrationen, die die gut 50 km lange Strecke mit der Darstellung von Bahnhöfen, Brücken, Tunneln sowie der Lokomotiven und Wagen lebendig werden lassen. Mit seinen Illustrationen gilt das Buch als eines der schönsten jemals publizierten Bücher zur Eisenbahn.

Die dreizehn Illustrationen wurden in Aquatinta, einem Kupferstichverfahren, das sich besonders zur Herstellung großer, gleichmäßiger Flächen eignet, ausgeführt. Entwickelt worden war diese Illustrationsform in den 1760er Jahren durch den Franzosen Jean-Baptiste Le Prince (1734–1781) und ist bis heute immer wieder in Verwendung. Die den Abbildungen zugrundliegenden Zeichnungen wurden von Bury selbst vor Ort angefertigt. Von Henry Pyall (1795–1833) und S. G. Hughes wurden sie dann als Aquatinta ausgeführt. Die Kolorierung erfolgte schließlich, wie bei Kupferstichen üblich, von Hand.

Das in niedriger Auflage hergestellte und deshalb heute seltene Werk verkaufte sich offenbar gut, denn schon 1832 und 1833 erschienen eine zweite und eine dritte Ausgabe. Letztere ist im Bestand der Bibliothek des Deutschen Museums. Der Verleger war der aus Sachsen stammende, zu den Pionieren der Lithografie in Großbritannien zählende Unternehmer Rudolph Ackermann (1764–1834). Zahlreiche von zum Teil bedeutenden Künstlern illustrierte Werke waren schon in seinem Verlag erschienen, was zu Burys Erfolg sicherlich beitrug. Ackermann war aber nicht nur als Buchhändler und Verleger tätig, sondern auch als Erfinder aktiv und erhielt 1818 zusammen mit dem aus Marktl am Inn stammenden Georg Lankensperger (1779–1847) ein Patent für die Achsschenkellenkung, die die drehbare Lagerung der Vorderräder ermöglichte.

Ackermann scheint recht geschäftstüchtig gewesen zu sein und brachte 1831 unter dem Titel „Seis vistas iluminadas del camino de hierro de Liverpool a Manchester con otra lamina de coches, maquinas, etc. etc. etc.“ auch gleich eine spanische Übersetzung auf den Markt. Unter dem Titel „Das grösste Wunderwerk unserer Zeit oder die Eisenbahn für Dampfwägen zwischen Liverpool und Manchester in England“ erschien im Verlag von Friedrich Campe (1777–1846) in Nürnberg um 1832 auch eine deutsche Ausgabe mit weitgehend identischen, allerdings unkolorierten Illustrationen.