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Die Pariser Weltausstellung 1900 und die Olympischen Spiele

Als die Weltausstellung von 1900 am 14. April in Paris öffnete, bot sich den mehr als 48 Millionen Besucherinnen und Besuchern ein spektakuläres Schauspiel: Vorführungen neuer Erfindungen wie des ersten Geräts zur Tonaufnahme auf Magnetbändern, der Aufnahmen der Filmpioniere Auguste und Louis Lumière oder des größten jemals gebauten Linsenteleskops waren einige Höhepunkte der Ausstellung, die insgesamt mehr als 80 000 Ausstellungsstücke umfasste. Auch ein rollender Fußweg, ähnlich wie wir ihn heute von Flughäfen kennen, und ein 360-Grad-Kino, das eine Ballonfahrt über Paris simulierte, konnten bestaunt werden.

Neben der Ausstellung selbst gab es ein interessantes Begleitprogramm, zu dem eine ganze Reihe sportlicher Wettkämpfe gehörte und auch die zweiten Olympischen Spiele der Neuzeit. Die Weltausstellung stellte dieses Sportereignis jedoch so in den Schatten, dass es nur selten Erwähnung fand, und einige Wettkämpfer gar nicht gewusst haben sollen, dass sie eine olympische Medaille gewonnen hatten. Außerdem wurde im Sportprogramm nicht zwischen olympischen und anderen Sportarten unterschieden, sodass der offizielle Status einer olympischen Disziplin in einigen Fällen ungeklärt blieb.

Ein solcher Fall waren die Wettkämpfe im Ballonfahren, die in verschiedenen Kategorien wie zurückgelegte Entfernung, Dauer und erreichte Höhe ausgetragen wurden. Zwei der durchgeführten Rennen wurden vom französischen Aeronautiker Graf Henry de La Vaulx (1870–1930) gewonnen: Ein am 30. September gestarteter Flug führte ihn 1237 km bis in die Nähe von Włocławek im heutigen Polen, was zum damaligen Zeitpunkt die erste direkte Luftreise von Frankreich nach Russland darstellte. Wenige Tage später übertraf er sich noch einmal selbst, denn nach dem Start am 9. Oktober legten er und sein Begleiter in 35 Stunden und 45 Minuten ganze 1925 km zurück und landeten in der Nähe von Kiew. Zwar führte der unerlaubte Grenzübertritt in diesem Fall dazu, dass La Vaulx für 24 Stunden inhaftiert wurde, die Reise war für ihn trotzdem ein großer Erfolg. Nicht nur hatte er das Wettfliegen gewonnen, er und sein Begleiter stellten darüber hinaus zwei neue Weltrekorde auf: sowohl in der Flugdauer als auch bei der zurückgelegten Strecke.

Von einem, der in die Luft ging

Nach dem Studium und der Ableistung seines Militärdienstes war La Vaulx 1894 zu einer mehrjährigen Reise durch Asien, Nord- und Südamerika aufgebrochen und hatte erst im Juli 1898, also ca. zwei Jahre vor der Weltausstellung, seinen ersten Aufstieg im Ballon erlebt. In der Folge entwickelte er eine ihm lebenslang bleibende Leidenschaft für die Aeronautik in allen ihren Facetten, von Ballonen über Zeppeline bis hin zu Flugzeugen, und wurde zu einem bekannten und engagierten Fürsprecher der Luftfahrt. Zusammen mit anderen Enthusiasten, unter ihnen der Schriftsteller Jules Verne, gründete er im Oktober 1898 den Aéro-Club de France, der sich für die Verbreitung der Fliegerei in Frankreich einsetzte und diese in der Anfangszeit auch regulierte. Henry de La Vaulx war der erste Vizepräsident dieses Clubs und des 1905 gegründeten internationalen Luftsportverbands Fédération Aéronautique Internationale, dessen Präsident er schließlich von 1925 bis 1930 wurde.

Neben seinen politischen und organisatorischen Aktivitäten war La Vaulx ein reger Flieger, der Hunderte von Flügen absolvierte und technische Entwicklungen vorantrieb. Unter anderem entwickelte und baute er ein eigenes Flugzeug sowie Luftschiffe und gründete eine Firma zu deren Vertrieb. Er absolvierte Ballonfahrten über den Ärmelkanal und für astronomische Beobachtungen, versuchte sich an der Überquerung des Mittelmeers und testete verschiedene technische Methoden zur besseren Steuerung von Ballonen auf dem Meer. Gleichzeitig fand er die Zeit, eine Reihe von Publikationen zu veröffentlichen, wobei es sich sowohl um Reisebeschreibungen als auch um Abenteuerromane und Sachbücher zur Luftfahrt und deren Geschichte handelte.

Von Porzellantellern und fliegenden Pferden

In der Sammlung der Bibliothek des Deutschen Museums befindet sich das Buch L’Aéronautique des origines à 1922 (zu Deutsch „Die Luftfahrt von den Anfängen bis 1922“), das La Vaulx 1922 zusammen mit den beiden französischen Luftfahrtpionieren Paul Tissandier (1881–1945) und Charles Dollfus (1893–1981) publizierte. Tissandier war einer der ersten Schüler der Flugzeugpioniere Wilbur und Orville Wright während Dollfus Museumskurator am 1919 gegründeten französischen Luftfahrtmuseum Musée de l’Air (heute: Musée de l’Air et de l’Espace) war. Alle drei einte das Interesse an der Luftfahrtgeschichte, aber anders als der Titel vielleicht vermuten lässt, handelt es sich bei diesem Werk nicht um eine textbasierte Abhandlung über die Geschichte der Luftfahrt. Vielmehr werden nach einer kurzen Einleitung 110 Dokumente und Objekte präsentiert, die größtenteils aus den Sammlungen der drei Autoren stammen und die Geschichte der Luftfahrt auf vielfältige Weise illustrieren. Kurze Beschreibungstexte geben Einblick in Herkunft und Bedeutung des Gezeigten, wobei die Relevanz der einzelnen Stücke für die Geschichte der Fliegerei stark variiert. So werden Abbildungen von mit Ballonen verzierten Porzellantellern ebenso gezeigt wie ein Faksimile von Leonardo da Vincis Studien über das Fliegen.

Ein Faksimile (von lateinisch fac simile, „mach ähnlich“) ist eine möglichst originalgetreue Reproduktion eines Dokuments. Dabei sollen Größe, Farbe und allgemeiner Erhaltungszustand der Vorlage möglichst perfekt kopiert werden. Faksimiles kommen zum Einsatz, wenn das Originaldokument besonders wertvoll oder unikal ist und entsprechend der Zugang dazu beschränkt ist. Sie bieten Forschenden und auch der breiteren Öffentlichkeit die Möglichkeit, Originale zu studieren, ohne diese zu beschädigen oder weite Reisen auf sich zu nehmen. Im Buch von La Vaulx und seinen Mitautoren kommt dieses Prinzip auf sehr abwechslungsreiche Weise zum Einsatz. Verschiedenste Papiere, Kopier- und Farbtechniken werden eingesetzt, um den Leserinnen und Lesern die Originaldokumente nahezubringen, von Zeitungsartikeln, Briefen, einem Scheck und Gemälden bis hin zu Plakaten und einem Logbuch. So werden aus heutiger Sicht auch die technischen Möglichkeiten des Buchdrucks zu Beginn des 20. Jahrhunderts illustriert.

Die guten Kontakte der Autoren sorgten nicht zuletzt dafür, dass sowohl Reproduktionen berühmter historischer Quellen – wie die Zeichnungen da Vincis oder Dokumente der Gebrüder Wright – im Buch enthalten sind, als auch alltägliche oder private Dokumente wie beispielsweise ein Brief, den der berühmte Schriftsteller Victor Hugo 1869 an Tissandiers Vater schrieb. So wird die Geschichte der Luftfahrt auf besonders lebendige Weise dargestellt. Von einem Werbeplakat für Jacques Garnerins (1869–1923) „aerostatischen Erlebnissen“ erfährt man beispielsweise, dass es 1822 einen Franc kostete, um während öffentlicher Vorführungen aus erster Reihe Ballone in Form von Elefanten und Fischen aufsteigen zu sehen sowie die Zerstörung eines Ballons zu bestaunen. Ein weiteres Plakat bewirbt Ballonaufstiege zu Pferde, die Eugène Poitevin (1806–1870) 1850 in Paris – und bei anderen Gelegenheiten auch seine Frau, verkleidet als Europa auf einem Stier reitend – durchführte. Aus dem Begleittext lässt sich herauslesen, dass die Autoren diesen akrobatischen Ballonaufstiegen kritisch gegenüberstanden. L’Aéronautique des origines à 1922 ermöglicht auf jeden Fall aber einen interessanten und authentischen Einblick in die Geschichte der frühen Luftfahrt.

Das Buch wurde insgesamt in einer Auflage von nur 500 Exemplaren gedruckt. Die Bibliothek des Deutschen Museums besitzt die Nr. 368 dieses interessanten Werks der Luftfahrtgeschichte.

Literaturhinweise

  • Braunbeck, Gustav (Hrsg.): Braunbecks Sportlexikon: Automobilismus. Motorbootwesen. Luftfahrt. Berlin: Gustav Braunbeck, 1912.
  • La Vaulx, Henry de; Tissandier, Paul; Dollfus, Charles: L’Aéronautique des origines à 1922. Paris: H. Floury, 1922.
  • La Vaulx, Henry de: Les vainqueurs de l’air. Histoire de l’aéronautique. Paris: Librairie Hachette, 1921.
  • Mabire, Jean-Christophe (Hrsg.): L'Exposition Universelle de 1900. Paris: L'Harmattan, 2000.
  • Mallon, Bill: The 1900 Olympic Games: Results for All Competitors in All Events, with Commentary. Jefferson: McFarland, 1998.
  • Ministère du commerce, de l'industrie des postes et des télégraphes: Exposition universelle internationale de 1900 à Paris. Concours internationaux d'exercices physiques et de sports. Rapports publiés sous la direction de M. D. Mérillon, Délégué Générale. Tome I/ Tome II. Paris: Imprimerie Nationale, 1901. Link zum Dokument
  • Zeitgenössische Zeitschriften zur Aeronautik: Illustrierte Aeronautische Mitteilungen (1897–1909) und L’Aérophile (1893–1947).