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Durch welche Hände ist ein Buch gegangen und welche Geschichten sind damit verknüpft? Wir werfen einen Blick in die Bibliothek, um zu sehen, über welche Umwege einige Bücher auf die Isarinsel kamen.

Das älteste Buch der Bibliothek des Deutschen Museums ist das "Poeticon Astronomicon", das die Mythologie der Sternbilder beschreibt. Es wurde 1482 in Venedig gedruckt und feiert damit in diesem Jahr seinen 538. Geburtstag. Die Bibliothek erwarb das Buch 1917 vom berühmten Münchner Antiquar Ludwig Rosenthal, weiß jedoch recht wenig darüber, durch welche Hände das Buch in seiner langen Geschichte ging und auf welch verschlungenen Wegen es schließlich seinen Weg nach München fand. Ähnliches gilt für sehr viele der inzwischen fast eine Million Bände, die sich seit der Gründung der Bibliothek 1903 angesammelt haben. In einigen Fällen lässt sich aber zumindest ein Teil der Vorgeschichte der Bibliotheksbücher rekonstruieren – eine Auswahl davon wollen wir uns hier näher ansehen.

Eine Frage der Provenienz

Viele Bücher der Bibliothek des Deutschen Museums wurden im regulären Buchhandel erworben, aber die Bibliothek zeichnet sich vor allem auch dadurch aus, dass sie schon immer viele Stiftungen von Verlagen und Privatpersonen erhielt. Dies wurde vom Museumsgründer Oskar von Miller initiiert und vorangetrieben, der Verlage als Partner für das Museum gewann und potentielle Spender wiederholt anschrieb, um Schenkungen für die Bibliothek einzuwerben. Die Herkunft der Bücher wurde von den Bibliotheksmitarbeitenden im Zugangsbuch und teils auch im Buch selbst vermerkt. So kann die Bezugsquelle in vielen Fällen identifiziert werden. Wenn eine Institution aber auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurückblicken kann, dann kommt es unweigerlich zu Informationsverlusten. Antiquariate werden geschlossen, bei Umzügen werden Stiftungen aus ihrem Zusammenhang gerissen, Akten gehen verloren und wenn als Stifter nur ein Herr Müller vermerkt ist, dann wird es schwierig mit der Recherche.

Aber warum ist es überhaupt wichtig, sich mit der Herkunft der Bibliotheksbestände zu beschäftigen? Solche Recherchen zur Herkunft von Büchern (aber auch Kunstwerken und anderen Kulturgütern) werden als Provenienzforschung bezeichnet und es gibt viele Anwendungsbereiche. Der bekannteste Fall sind die nötigen Recherchen zur Restitution von während der Zeit des Nationalsozialismus enteigneten Besitztümern.

Ein weiterer Aspekt ist insbesondere für die Bibliothek eines Forschungsmuseums von Bedeutung: Die wenigsten Stifter und Nachlassgeber hinterließen dem Museum nur Bücher oder Archivalien oder Objekte. In vielen Fällen ist es eine Mischung aus allen dreien. Durch die Kombination mehrerer Quellen lassen sich dann wieder neue Erkenntnisse gewinnen. Aus der Bibliothek einer Wissenschaftlerin lassen sich beispielsweise Rückschlüsse auf wichtige Einflüsse und Inspirationen ziehen. Möglicherweise existieren sogar Anstreichungen in Texten, die Gedankengänge illustrieren. Und wenn die Forschenden früherer Tage sich gegenseitig ihre Veröffentlichungen zuschickten, versahen sie diese oft mit kurzen Widmungen im Buch. So lassen sich Korrespondenzen und Netzwerke rekonstruieren.

Die Provenienzforschung kann also auch einen Beitrag zur Geschichte von Wissenschaft und Technik leisten. Oder sie kann auch ganz einfach einen interessanten Einblick in das berufliche oder private Leben der Menschen geben, durch deren Hände die Bücher der Bibliothek in der Vergangenheit gingen.

Physikergrüße

Wie erfolgreich das Werben des Deutschen Museums und insbesondere des Museumsgründers Oskar von Miller um Stiftungen war, lässt sich ziemlich gut nachverfolgen, wenn man sich eine Reihe der bekanntesten Größen der Physik des 20. Jahrhunderts vornimmt. Sucht man im Bibliothekskatalog nach Widmungen einschlägiger Namen, so wird man schnell fündig:

Schon beim berühmtesten aller Physiker gibt es einen Treffer: Albert Einstein stiftete 1921 ein Exemplar seiner Veröffentlichung "Geometrie und Erfahrung" (siehe Katalogeintrag) und schrieb ganz kurz und knapp auf das Titelblatt: „Dem Deutschen Museum. A. Einstein 1921“. Wohl weil er auch damals schon große Berühmtheit genoss, hoben die Bibliotheksmitarbeitenden sogar seine Absenderadresse auf und klebten sie ins Buch.

Auch der Begründer der Quantenphysik, Max Planck, stiftete der Bibliothek ein Buch. In seiner 1922 erschienenen "Einführung in die Theorie der Elektrizität und des Magnetismus" (siehe Katalogeintrag) schrieb er – immerhin ein klein wenig wortreicher als Albert Einstein: „Dem Deutschen Museum hochachtungsvoll überreicht vom Verf.“.

Eine der bekanntesten Physikerinnen überhaupt, Lise Meitner, die 1939 zusammen mit Otto Frisch die erste theoretische Erklärung der Kernspaltung publizierte, kann ebenso im Bestand gefunden werden. Sie stiftete dem Deutschen Museum ein Exemplar des von ihr und ihrem Assistenten Max Delbrück verfassten Buches "Der Aufbau der Atomkerne" aus dem Jahr 1935 (siehe Katalogeintrag), in dem sie vermerkte: „Dem Deutschen Museum in alter Anhänglichkeit. L. M.“ Neben diesem Exemplar ihrer Veröffentlichung hatte Lise Meitner auf Anfragen des Museums hin schon 1926 und 1934 verschiedene Tafeln und Abbildungen zu atomaren Prozessen für die Ausstellungen gestiftet.

Der Nachlass des bekannten Münchner Physikprofessors Walther Gerlach befindet sich im Archiv des Deutschen Museums, wo er unter anderem für seine schwer leserliche Handschrift bekannt ist. Das von ihm an die Bibliothek gestiftete Werk "Naturwissenschaftliche Erkenntnis und ihre Methoden" (siehe Katalogeintrag), das er 1937 zusammen mit Max Hartmann veröffentlichte, ist gewidmet: „Der Bücherei des Deutschen Museum zu München ergebenst überreicht. Walther Gerlach, Frühjahr 1937.“.

Gerlach war lange Jahre mit dem Nobelpreisträger und Entdecker der Kernspaltung Otto Hahn befreundet. Dieser schickte Gerlach gelegentlich seine Veröffentlichungen. Über Gerlachs Nachlass sind einige davon in die Bibliothek gekommen, beispielsweise ein Exemplar des Werks "Vom Radiothor zur Uranspaltung: eine wissenschaftliche Selbstbiographie" (siehe Katalogeintrag), in das Hahn schrieb: „Seinem lieben Freunde Walther Gerlach mit herzlichen Grüssen! Göttingen, Nov. 1962. Otto Hahn.“

So finden sich also allerlei kleine Anmerkungen und Überraschungen in den Büchern der Bibliothek, sowohl von bekannten Größen der Naturwissenschaft und Technik als auch von eher unbekannten Namen. Manche sind dabei ziemlich kurz angebunden, andere wiederum nahmen sich die Zeit für ausführlichere Grußworte. In ihrer Gesamtheit zeugen sie sowohl von der Vielzahl der existierenden wissenschaftlichen Netzwerke als auch insbesondere von dem beeindruckenden Netzwerk, das der Museumsgründer Oskar von Miller zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufbaute, um das Museum in Wissenschaft und Gesellschaft zu verankern.

Familiäre Schicksale in der Firmenbibliothek

Die verschlungenen Wege, die manche Bücher nahmen, bevor sie schlussendlich in der Bibliothek ankamen, können sehr schön an dem Werk "Les Étoiles Animées" von Alfred Driou (siehe Katalogeintrag) nachvollzogen werden, das 1851 in Paris veröffentlicht wurde. Der pseudonyme Autor möchte darin Kindern die Naturwissenschaften und Technik näherbringen und schickt dazu den noch heute berühmten Physiker, Astronom und Mathematiker Pierre-Simon Laplace im Kindesalter auf eine abenteuerliche Reise, auf der er so einiges erlebt und lernt. Hinter dem Titelblatt findet man eine Widmung in brauner Tinte:

A ma fille bien-aimée
Stephanie
le 12. Sept. 1852
son dixième Anniversaire
G[eorge] W[illia]m Drory

Übersetzt: „Für meine geliebte Tochter Stephanie, am 12. September 1852, zu ihrem 10. Geburtstag.“ Der Verfasser der Inschrift, George William Drory, war ein britischer Ingenieur und Gaswerkunternehmer, der unter anderem am Aufbau der Gasversorgung in Hannover in den 1820er-Jahren beteiligt war. Seine Tochter Stephanie heiratete 1862 den berühmten Chemiker August Kekulé, starb aber bereits im darauffolgenden Jahr im Kindbett. Das Buch ging anschließend wohl in den Besitz ihres Sohnes Stephan über, denn auf der Rückseite des vorderen Einbands ist dessen Exlibris eingeklebt. Dabei handelt es sich um ein in das Buch eingeklebtes, verziertes Stück Papier, das der Eigentumskennzeichnung diente. Nach dem Tod von August Kekulé wurde das Buch zusammen mit dessen Bibliothek an die Bayer AG verkauft, die damals eine umfangreiche chemische Firmenbibliothek aufbaute. Diese wurde schließlich 2008 im Zuge der Digitalisierung aufgelöst und in Teilen an das Deutsche Museum gestiftet. So findet sich im Deutschen Museum einiges wieder zusammen, was lange Zeit getrennt war – denn auch der Nachlass von August Kekulé findet sich im Museumsarchiv.

Dass sich der ganze Werdegang eines Buches so vollständig nachvollziehen lässt, ist allerdings ungewöhnlich. In den meisten Fällen können bestenfalls einzelne Stationen der Vorgeschichte, meist Informationen zum direkten Vorbesitz, ermittelt werden.

Diesels Bienenstöcke

Rudolf Diesel, der berühmte Ingenieur und Erfinder des Dieselmotors, studierte von 1875 bis 1880 in München und lernte dort auch Oskar von Miller kennen, dem er seitdem freundschaftlich verbunden war. Insofern verwundert es nicht, dass auch der Nachlass Diesels mit vielen Schachteln voll von Korrespondenzen, Manuskripten, Patenten und ähnlichen Unterlagen im Archiv des Deutschen Museums aufbewahrt wird. Die Bibliothek Diesels wurde dagegen nicht dem Museum vermacht. Im Bestand der Bibliothek befinden sich aber verstreut einige Bücher, die Anfang 1915 bei einer Berliner Buchhandlung gekauft wurden und von dieser per Exlibris als Teil der Privatbibliothek von Rudolf Diesel gekennzeichnet wurden. Sie enthalten keine Widmungen oder andere bemerkenswerte Kennzeichnungen, geben aber einen kleinen Einblick in die Interessen Diesels: Neben Titeln zum Motorenbau und Automobilen findet sich hier auch Literatur zu Eisenbahnen, U-Booten, zur Luftfahrt und über den Planeten Mars.

Im Bibliothekskatalog ist ein einziges Buch mit einer persönlichen Widmung Diesels verzeichnet. Es handelt sich um den Titel "Solidarismus – natürliche wirtschaftliche Erlösung des Menschen" (Signatur 1941 A 1193), das Diesel 1903 veröffentlichte und laut Biographen als eine seiner größten Leistungen betrachtete. Von der ursprünglichen 10 000 Stück starken Auflage verkauften sich jedoch nur wenige hundert Exemplare. Er beschreibt darin seine Theorie einer solidarisch organisierten Wirtschaft, in der die Arbeiter Finanzen, Produktion und Vertrieb der Firmen selbst genossenschaftlich organisieren. Alle würden dabei einen kleinen Beitrag in eine Volkskasse einzahlen, um damit die Betriebe – die Diesel als Bienenstöcke bezeichnete – zu finanzieren. Auf dem Titelblatt des Exemplars in der Bibliothek des Deutschen Museums schrieb er:

Herrn Prof. Dr. Rathgen, Heidelberg, überreicht vom Verfasser

Damit ist aller Wahrscheinlichkeit nach Karl Rathgen gemeint, ein deutscher Ökonom und Gründungsrektor der Universität Hamburg, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches einen Lehrstuhl in Heidelberg betreute. Es ist anzunehmen, dass er nicht der einzige Empfänger von Diesels Schrift war, sondern nur einer unter mehreren. Beim Verschenken von Büchern handelte es sich um eine zu damaligen Zeiten übliche Praxis, die der Verbreitung der eigenen Arbeit und dem Informationsaustausch diente. Auf die Isarinsel kam das Buch im November 1941, nachdem es für 15 Mark von einer Leipziger Buchhandlung erworben worden war. Wie das Buch aber von Heidelberg nach Leipzig kam, kann nicht mehr nachvollzogen werden.

Stöbern

So fördert das weitere Stöbern in der Bibliothek sowohl Interessantes und als auch Kurioses zutage: Ein Buch beispielsweise, in das Ferdinand Graf von Zeppelin hineinschrieb, dass eine dort über ihn getätigte Aussage nicht zutreffend ist. Oder das Werk "Libro Primo D'Architettura", auf dessen Buchdeckel sich der Münchner Maler Franz Naager mit einem Gemälde verewigte. Ein anderer Stifter hinterließ sogar ein kleines Gedicht über die Statik in seinem Werk. Und Widmungen vieler bekannter Persönlichkeiten wie Konrad Zuse, Wernher von Braun oder Ludwig Erhard findet man ebenso wie tausende von Widmungen eher unbekannter Persönlichkeiten.

Alle der Bibliothek bekannten Widmungen und Besonderheiten sind übrigens auch im Online-Katalog verzeichnet und können dort über die freie Suche (Stichwort „Widmung“ bzw. „Prov“ für Provenienz) recherchiert werden. Und wenn eine Leserin oder ein Leser auf eine Widmung stößt, die noch nicht im Katalog verzeichnet ist, so freut sich die Bibliothek über eine entsprechende Benachrichtigung.