Der große Ingenieur und sein schreckliches Ende
Jetzt gibt es eine Biografie über einen der wichtigsten Museumsmitarbeiter – Arthur Schönberg, der nach Theresienstadt deportiert wurde und dort starb
Arthur Schönberg war neben Oskar von Miller der heimliche Mitgründer des Deutschen Museums – und Miller selbst hat ihn als den „wahren Schöpfer des Walchenseekraftwerks und des Bayernwerks“ bezeichnet. Trotz seiner großen Verdienste wurde der Ingenieur und Cousin des Komponisten Arnold Schönberg 1942 von den Nazis nach Theresienstadt deportiert, wo er kurz darauf ums Leben kam. Wilhelm Füßl, langjähriger Archivleiter des Deutschen Museums, hat die bewegende Biografie dieses Mannes auf 272 Seiten zusammengetragen. „Arthur Schönberg: Ein Ingenieurleben im Schatten Oskar von Millers“ ist jetzt erschienen – das Ergebnis einer akribischen Spurensuche.
Mehr als 30 Jahre hat Wilhelm Füßl für dieses Buch recherchiert. Für eine Biografie über einen Akteur in der zweiten Reihe, über einen Menschen, über den es normalerweise keine Biografie geben würde. „Es war ein unendliches Suchen nach Material. Und so habe ich Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen zusammengetragen“, sagt Füßl über seine Arbeit, die 1991 begonnen hat. Auf den Namen Schönberg war Füßl bei seinen Recherchen für eine Miller-Biografie aufmerksam geworden. Immer wieder tauchte das Kürzel „Sch“ in den Museumsakten auf. „Und ich wollte wissen: Wer ist dieser ,Sch‘? Und dann bin ich auf eine wirklich große Geschichte gestoßen.“
Es gibt am Aufgang zum Ehrensaal des Deutschen Museums eine Tafel, auf der die wichtigsten Mitarbeiter Oskar von Millers gewürdigt werden: Der Name Arthur Schönberg findet sich an erster Stelle. Auch auf dem großen Ölgemälde, das die Grundsteinlegung für das Deutsche Museum zeigt, ist Arthur Schönberg zu sehen. Dennoch kennt kaum ein Museumsmitarbeiter seinen Namen – und sein Lebensweg blieb bis zum Erscheinen dieser Biografie weitgehend im Dunkeln. Wilhelm Füßl erzählt: „Schönberg taucht nie so richtig in den Akten auf. Die Chronik des Deutschen Museums stammt von ihm – das steht aber nirgends. Die ganzen Verwaltungsberichte stammen von ihm. Steht nirgends. Nur in einer kleinen Aktennotiz heißt das dann, die Abfassung der Chronik übernimmt wie gewohnt Ingenieur Schönberg.“
Schönberg war von 1903 bis 1933 bei allen Gremiensitzungen des Deutschen Museums anwesend und hat Protokoll geführt. Es ist aber nie ein einziger Wortbeitrag von ihm vermerkt, obwohl er zum Beispiel den Finanzplan für das Museum vorgestellt hat. „Er hat viele bedeutende Objekte für das Deutsche Museum eingeworben – wie die Kobell-Fotografien, also die ersten Fotografien Deutschlands“, erzählt Füßl. Die ursprüngliche Fachgebietseinteilung des Museums stammt von Schönberg, er war wissenschaftlicher Sammlungsleiter, zuständig für die Einwerbung von Objekten.
Und im Brotberuf als Ingenieur in Oskar von Millers Planungsbüro hat er die Pläne von Walchenseekraftwerk und Bayernwerk gezeichnet – ein unglaubliches Arbeitspensum. Nebenbei kann er noch als der Vater des Elektroherds in Deutschland gelten – er hat 1926 und 1927 das elektrische Kochen in Deutschland eingeführt. Und zwar in Schwandorf und Schweinfurt, wo das Ingenieurbüro Oskar von Miller die Elektrizitätswerke gebaut und betrieben hat – da war der Einsatz des Elektroherds praktisch ein Nebenprodukt.
Wirklich in den Vordergrund getreten ist er aber nie. Selbst auf den Fotos, die es von ihm gibt, steht er immer an der Seite oder ganz weit hinten, ist häufig halb verdeckt. Die Gründe für seine Zurückhaltung? Füßl mutmaßt: „Einer der Gründe könnte gewesen sein, dass er eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte hatte – früher hat man Hasenscharte und Wolfsrachen dazu gesagt. Das war bei ihm wohl schlecht operiert worden – und er hat wohl sehr undeutlich gesprochen.“
Aber auch die antisemitischen Angriffe gegen ihn spielten eine Rolle, sagt Füßl: „In den Personalakten des Museums findet man Belege für antisemitische Angriffe auf Schönberg, und zwar schon 1907 und 1908. Da steht beispielsweise: ,Die Direktion des Deutschen Museums wird von einem polnischen Juden betrieben.‘“ Es gibt Beschwerden über Schönberg, sogar Klagen, er würde Gelder veruntreuen. „Alles unwahr“, sagt Füßl. Schönberg hat zwischenzeitlich sogar um seine Familie gefürchtet und sie nach Wien gebracht. Aber dass es später noch viel schlimmer werden würde, hat er wohl nicht geahnt.
1934 wurde Schönberg aus dem Ausschuss des Deutschen Museums, in dem er seit der Gründung 1903 saß, ausgeschlossen. Nach den Novemberpogromen 1938 wurde er in Dachau inhaftiert – mit der Auflage, auszuwandern. Was er aber zunächst nicht vorhatte. Füßl sagt: „Er fühlte sich nicht bedroht. ,Was kann mir schon passieren‘, hat er seiner Tochter gesagt. Er glaubte, aufgrund seiner Verdienste geschützt zu sein. Er war Bayerischer Landesbaurat, hat viele Auszeichnungen bekommen, den Goldenen Ehrenring des Deutschen Museums.“ Aber am Ende hat ihm das alles nichts geholfen.
Spätere Versuche einer Ausreise scheitern, weil sein Cousin Arnold Schönberg, der berühmte Komponist, keine Einwanderer-Bürgschaft für die USA stellen konnte. Und nach Kriegsausbruch 1939 war eine Ausreise praktisch nicht mehr möglich.
Im Juni 1942 wird seine Frau, die damals schwer herzkrank war, aus dem Krankenhaus ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Arthur Schönberg hatte sich praktisch freiwillig gemeldet, um sie zu begleiten. Am 23. Dezember 1942 stirbt seine Frau Eva – am Hochzeitstag der beiden. Und am 20. Februar 1943 dann auch er – angeblich an einer Lungenentzündung.
„Zu den furchtbarsten Dokumenten, die mir bei der Recherche untergekommen sind, gehört ein Brief seiner Tochter Else. Darin steht: ,Er hat uns immer eingeschärft, dass er (nach seinem Tod) nicht verbrannt werden wolle. Auch diesen letzten Wusch haben die Nazis vereitelt.‘ Denn in Theresienstadt wurden ja alle verbrannt.“
Nach dem Krieg mussten die beiden überlebenden Nachkommen Schönbergs, seine Tochter Else Schönberg und sein Enkel Michel-Ernst Schonberg, in einem langwierigen und für Deutschland beschämenden Rechtsstreit Entschädigungsansprüche durchsetzen. Füßl findet: „Es wäre höchst wünschenswert, wenn künftig in München, der Stadt, in der Arthur Schönberg 42 Jahre seines Lebens wirkte, seiner gedacht würde.“ Eigentlich hätte der Mann ein Denkmal verdient. Und zwar eines in der ersten Reihe.