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Die Annalen sind ein gutes Beispiel für den Wandel der Wissenschaftslandschaft in Deutschland. In ihrer Blütezeit ca. 1850–1920 erschienen darin viele bahnbrechende Arbeiten namhaftester Physiker.

Die „Annalen der Physik“, die nahezu vollständig in der Bibliothek des Deutschen Museums vorhanden sind, spielen für Albert Einsteins Werk eine zentrale Rolle. Wie seine private Korrespondenz belegt, war er ein eifriger Leser der „Annalen“, die ihm schon zur Studienzeit einen Zugang zur modernen physikalischen Forschung boten. Diese Beziehung verfestigte sich, als Einstein 1904 zu einem Mitarbeiter der „Beiblätter“ wurde und für diese Besprechungen naturwissenschaftlicher Aufsätze und Bücher verfasste.
Die „Annalen“ waren zugleich Einsteins wichtigstes Publikationsorgan; in keiner anderen Zeitschrift hat er mehr publiziert. Fast 50 Beiträge innerhalb von rund 30 Jahren. Zwei davon haben die Physik des 20. Jahrhunderts ganz wesentlich geprägt: Im Frühjahr 1905 erschien zunächst mit „Über einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichtes betreffenden heuristischen Gesichtspunkt“ ein wichtiger Beitrag zur Quantentheorie; und schon im Juni folgte mit „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ der für die Spezielle Relativitätstheorie grundlegende Artikel. 

Eine konsistente, zusammenfassende Darstellung der allgemeinen Relativitätstheorie lieferte Einstein 1916 ebenfalls in den „Annalen“. Die Zeitschrift, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits gut hundert Jahre alt war, erscheint bis heute und gehört damit zu den traditionsreichsten physikalischen Fachzeitschriften weltweit.

Der erste Jahrgang dieser Zeitschrift erschien 1790 als „Journal der Physik“. Der Begründer war Albrecht Carl Gren (1760–1798), Professor in Halle. Gren sah, wie sein Nachfolger Ludwig Wilhelm Gilbert (1769–1824), die Aufgabe der „Annalen der Physik“ – diesen Titel trägt die Zeitschrift seit 1799 – vor allem in der Vermittlung der physikalischen Forschung Frankreichs und Großbritanniens. Dort erschienen mit den „Annales de Chemie et de Physique“ (seit 1789) und dem „Philosophical Magazine“ (seit 1798) neuerdings ebenfalls zwei vorrangig physikalisch ausgerichtete Zeitschriften. Die „Annalen“ orientierten sich an diesen Zeitschriften und brachten vorrangig Übersetzungen. Originalarbeiten, also erstmals publizierte Forschungsergebnisse, spielen in den „Annalen“ in den ersten Jahrzehnten dagegen eine geringere Rolle. Für die Entwicklung der physikalischen Forschung in Deutschland war – neben der Übersetzung ausländischer Forschungsergebnisse – aber auch die kritische Besprechung neu erschienenener Bücher zur Physik und den übrigen Naturwissenschaften wichtig. Die „Annalen“ trugen dadurch ganz wesentlich dazu bei, dass die physikalische Forschung in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich Anschluss an die internationale Entwicklung fand. Diese wichtige, häufig unterschätzte Vermittlungsfunktion erfüllten Zeitschriften aber nicht nur in der Physik. Eine ganz ähnliche Rolle spielte, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, „Dinglers Polytechnisches Journal“ für die Technik.

Seit etwa 1840 begann sich dies merklich zu verändern: Die Übersetzungen traten nun zugunsten der Originalbeiträge immer mehr in den Hintergrund und verschwanden schließlich bald fast ganz. Zwischen 1850 und 1920 liegt die Blütezeit der „Annalen“, die Zeitschrift galt als die wichtigste deutsche physikalische Zeitschrift. Die berühmten Arbeiten von Rudolf Clausius und Ludwig Boltzmann erschienen ebenso dort wie die von Max Planck, Albert Einstein und Erwin Schrödinger. Die großen Arbeiten zur Wärmetheorie, zur Relativitätstheorie und zur frühen Quantentheorie sind damit vor allem dort zu finden. Bis zu Beginn der 1920er-Jahre konnte die Zeitschrift ihre Vorrangstellung in der deutschsprachigen Physik behaupten, mit der seit 1920 erscheinenden „Zeitschrift für Physik“ bekam sie jedoch eine ebenbürtige Konkurrenz. Die jüngere Physikergeneration – unter ihnen Max Born und Werner Heisenberg – bevorzugten für ihre Publikationen diese neue Zeitschrift.

Nach 1933 blieb zwar Max Planck weiterhin der Herausgeber der „Annalen“ – er nahm diese Aufgabe von 1906 bis zu seinem Tod 1947 wahr. Doch verlor die Zeitschrift einen Großteil ihrer Autoren durch die Emigration – unter ihnen auch Albert Einstein. Die „Annalen“ büßten damit, wie viele andere in Deutschland erscheinende wissenschaftliche Zeitschriften, ganz erheblich an internationalem Renommee ein. Davon konnte sich die Zeitschrift auch nach dem Krieg nicht mehr erholen. Nach 1945 erschien die Zeitschrift, wie schon seit 1809, weiterhin im Leipziger Verlagshaus Ambrosius Barth, für westdeutsche Physiker spielte sie damit aber als Publikationsorgan eine immer geringere Rolle. Es bleibt abzuwarten, ob der 1997 erfolgte Wechsel zu Wiley, einem der bedeutendsten internationalen Wissenschaftsverlage, die „Annalen“ wieder zu einem der zentralen Publikationsorgane der Physik werden lässt.

Der Artikel erschien zuerst in "Kultur+Technik", der Zeitschrift des Deutschen Museums, Heft 02/2005.