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Im Zeitalter von Wikipedia und anderen digitalen Nachschlagewerken hat sich das lange Blättern in Nachschlagewerken (beinahe) erledigt. Auch der häufig in diesen Werken anzutreffende Anspruch, das gesamte Wissen der Menschheit im Wesentlichen zusammenzuführen, wird nicht mehr ernsthaft verfolgt. Dennoch sind die Enzyklopädien vergangener Zeiten unter anderem für Technik- und Naturwissenschaftshistoriker weiterhin von hohem Erkenntniswert, da sie den Wissensstand der Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt leicht rezipierbar dokumentieren. Seit geraumer Zeit haben Bibliotheken der Digitalisierung dieser Werke einen besonderen Stellenwert eingeräumt und so sind die großen Enzyklopädien ihrer Zeit, die französische Encyclopédie, der Krünitz, der Zedler und andere Gegenstand von Digitalisierungsprojekten gewesen. Ihre Inhalte sind gut durchsuchbar bequem vom heimischen Rechner aus einzusehen. Dies schmälert jedoch nicht den Wert des oft mit wertigen Stichen ausgestatteten Originals, das als Editionsprojekt inhaltlich nützliches und neues Wissen seiner Zeit verbreiten wollte und zudem wirtschaftlich im besten Fall erfolgreich war.

Die Grundvoraussetzung für die jahrhundertelange Welle des Lexikonschreibens kann in der Wissenschaftsrevolution des ausgehenden 16. Jahrhunderts (Galileo, Keppler etc.) gesehen werden. Die schrittweise sich vollziehende Abwendung von einer rein theologisch-traditionellen Welterklärung zu einer empirischen Untersuchung der Naturgesetze markiert den Start der modernen Wissenschaft, die sich zunehmend der Verbesserung des menschlichen Lebens und der Nützlichkeit verpflichtet sah. Ebenso bedeutend: die Ergebnisse des neuen Denkens konnten durch mediale Revolutionen in Folge des Buchdrucks schneller und kostengünstiger verbreitet werden als dies etwa in der Zeit der klösterlichen Handschriftenproduktion der Fall war, wenn auch dennoch die Verbreitung in anderen als adeligen oder bürgerlichen Kreisen nicht überbewertet werden darf. Hinzu kam – und dies ist gerade im Kontext exakter Wissenschaft nicht zu überschätzen – eine Weiterentwicklung der Illustrationstechniken.

Hausväterliteratur und die Ökonomien des Barock

Sicherlich bereits aufgrund des Anschaffungspreises kaum in jedem Haushalt vorhanden und vorrangig an Gutsbesitzer gerichtet, bilden die „Ökonomien“ als Teil der Ratgeberliteratur eine herausragende Quelle für die Sozial-, Wirtschafts-, aber auch die Mentalitätengeschichte der Barockzeit. Eines von (zahlreichen) Beispielen ist die "Georgica curiosa aucta" des österreichischen Adeligen Wolfgang von Hohberg. Obwohl in Anlehnung an Vergils Lehrgedichtswerk zur Landwirtschaft betitelt und mit einer Inhaltsbeschreibung in Gedichtform versehen, handelt es sich doch um ein Prosawerk, welches zum Ziel hatte, den Gutsbesitzer seiner Zeit in den Stand zu versetzen, sein Anwesen erfolgreich zu verwalten. Dabei charakterisieren die umfangreich zusammengetragenen Kenntnisse über Acker- und Gartenbau oder Pferdezucht ebenso wie das Werk Hohbergs mit ausführlichen Kommentaren zur Ordnung seiner Welt eine hervorragende Quelle für die Sozial- und Mentalitätengeschichte seiner Zeit. Zu den Ratschlägen zur idealen Verfasstheit eines Hausstandes in Kapiteln zu Hausvater und -mutter treten Bücher zur Landwirtschaft und zum Gartenbau.

Aufklärung

„Cyclopaedia: Or, An Universal Dictionary Of Arts and Sciences” , das „best book of the universe“, so die Aussage seines Verfassers Ephraim Chambers, ist bereits deshalb bedeutend, weil Diderots Encyclopédie eigentlich als Übersetzungsprojekt dieses zweibändigen Werkes geplant war. Chambers war von der Ausbildung her Globenbauer/Kartograph, die Stoßrichtung seines Werkes: der Vielzahl an Büchern ein Ende zu bereiten.

Der Aufbau der "Cyclopaedia" ist im Gegensatz zu anderen Werken nicht thematisch, sondern rein alphabetisch und universell angelegt, d.h. es sollte das gesamte Wissen seiner Zeit zusammenstellen. Ist dies auch nicht einzigartig, so drückt eine wenig literarische Gliederung den Zeitgeist und eine neue Form der Wissenschaft aus. Dass Empirie und Messung sich in Zeiten der Frühaufklärung immer mehr durchsetzten, ist bereits am Frontispiz, einem ausklappbaren Kupferstich, zu erkennen: Im Vordergrund säumen wissenschaftliche Instrumente wie Globen, Sphären, Zirkel etc. ­– sonst häufig lediglich schmückende Attribute personifizierter Wissenschaften –­ in erstaunlicher Detailfreude und in praktischer Benutzung den Weg zur Erkenntnis. Die Theologie hingegen findet mit ihrer Büchersammlung ihren Platz im Hintergrund und ist nur bei genauerer Betrachtung zu entdecken.

Wenn von Enzyklopädien gesprochen wird, klingt zumeist die "Encyclopédie" oder das "Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers" der Aufklärer Diderot und d’Alembert an. Wie wir bereits gesehen haben, sollte das Werk als Übersetzungsprojekt von Chambers "Cyclopaedia" beginnen, doch dieser Ansatz wurde bald aufgegeben.

Auch die Vorgehensweise, dass ein Autor das Wissen der Welt kompiliert, wurde zugunsten einer Zusammenstellung von Artikeln von Fachautoren fallen gelassen. In gewisser Weise widersprach das Anliegen dem Ursprungswerk komplett: Hatte Chambers versucht, in seinem Werk zu komprimieren, schien das Projekt der Encyclopédie kein Ende zu finden und ist mit 17 Text- und 11 Tafelbänden im Umfang ansehnlich – besonders in der prächtigen Folioausgabe. Die enthaltenen Tafeln geben nicht nur z.B. den technischen Stand der Uhrmacherkunst durch ihre Stiche vom genauen Aufbau von Uhrwerken wieder, sondern auch durch Einblicke in die Werkstätten wie hier abgebildet in eine Buchdruckerei.

Auch in weiterer Hinsicht ist die "Encyclopédie" besonders: Die häufige Beschreibung als Manifest der Aufklärung ist zutreffend und verwundert zugleich, denn nach heutiger Auffassung sollte ein Nachschlagewerk eher sachlich informieren als ein Transportmittel philosophischer Gedanken sein. In der Tat haben die Herausgeber viele ausgewiesene Experten exakter Wissenschaften gewinnen können, der Herausgeber d’Alembert, der mit 1488 Artikeln auch umfangreich zum Text beitrug, ist als Mathematiker und Physiker hierfür ein prominentes Beispiel.

Auf der anderen Seite stehen Mitarbeiter wie der berühmte Aufklärer Voltaire: leicht kann man sich vorstellen, dass es mit der Objektivität nicht weit her gewesen sein kann. Und so ist beispielsweise sein Urteil (im Artikel „Français“) über die Unterrichtspraxis seiner Zeit wenig sachlich oder schmeichelhaft: „Eine seit langer Zeit gotische [=mittelalterliche] Regierung erstickte fast zwölfhundert Jahre lang jedes Licht, und Lehrer, die dafür bezahlt wurden, dass sie die menschliche Natur verrohten, verdichteten die Dunkelheit.“ Somit klingen auch in einem Nachschlagewerk der Umbruch und die Unzufriedenheit der Französischen Revolution an.

Vom Gelehrtenwerk zur Massenproduktion: große Lexikonprojekte des 19. Jahrhunderts am Beispiel des Krünitz

Hatten wir es mit der "Encyclopédie" vor allem mit einem Werk der Salons und gelehrter Kreise zu tun, so erkannten andere das ökonomische Potential, das sich aus immer günstiger zu produzierenden Enzyklopädieprojekten ergab. Entsprechend erfuhren bestehende Projekte Neuauflagen – mitunter in handlicheren Formaten und ohne teuren Abbildungsteil –, wurden erweitert oder aber andere Projekte wurden ausgebaut. Mit sinkendem Preis wuchs auch die Verbreitung und praktische Bedürfnisse rückten in den Vordergrund.

Ein Beispiel ist die „Oekonomisch-technologische Encyklopädie: oder allgemeines System der Staats-, Haus- und Landwirthschaft“, mit deren Herausgabe der Arzt und Naturwissenschaftler Johann Georg Krünitz 1773 begann und die sich als derart lukrativ herausstellte, dass sie erst 85 Jahre später mit dem 242. Band abgeschlossen wurde. War der Inhalt thematisch ursprünglich von Krünitz selbst eingeschränkt worden, wurden die Bände thematisch weiter und an Bildern ärmer: ab dem 175. Band verzichteten Krünitz‘ Nachfolger gänzlich auf die Bebilderung. Die Abbildung von Bandpaten jedoch blieb erhalten, denn die Empfehlung der Anschaffung an alle preußischen Lehranstalten – damit der Verlegergewinn – konnte durch die Gewogenheit der abgebildeten Minister wie des Freiherrn vom Stein (Bd. 127) oder einflussreicher Gelehrter wie Wilhelm Grimm (Bd. 184) sichergestellt werden. Das Abweichen von der ursprünglichen Konzeption als angereicherter Übersetzung von zwei französischen Enzyklopädien wird auch an der Anzahl der Bände mehr als deutlich: A: 3 Bände, S: 49 Bände. Schon aufgrund der Themenweite und des Umfangs gehört „der Krünitz“ zu den wichtigsten Quellen der Wirtschafts- und Technikgeschichte der beginnenden Industrialisierung, gibt aber durchaus auch Einblicke in weitere, für die Zeit wichtige Themen wie zur Alltagskultur oder der Mode, wie die Abbildung zur Mode seiner Zeit verdeutlicht.

Christian Winkler

Literaturhinweise:

Robert Darnton, Glänzende Geschäfte. Die Verbreitung von Diderots Encyclopedie oder: Wie verkauft man Wissen mit Gewinn?. Frankfurt am Main 1998., Link zum Katalogeintrag.

Ulrich Johannes Schneider (Hrsg.), Seine Welt wissen. Enzyklopädien in der Frühen Neuzeit ; [Katalog zur Ausstellung der Universitätsbibliothek Leipzig und der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel]. Darmstadt 2006, Link zum Katalogeintrag.

Hans-Ulrich Seifert, Die Illustrationen in Johann Georg Kruenitz' Oekonomisch-technologischer Enzyklopaedie. Trier 2006, online verfügbar.

Richard R. Yeo, A Solution to the Multitude of Books. Ephraim Chambers's Cyclopaedia (1728) as "the Best Book in the Universe", in: Journal of the History of Ideas 64, 2003, 61–72, Link zum Katalogeintrag.